Reda Mostafa ist seit Juni 2014 Mitarbeiter bei PTC und dort als Direktor im Bereich Geschäftsentwicklung für Kunden in der Prozessindustrie verantwortlich. In dieser Aufgabe entwickelt er gemeinsam mit Kunden werteorientierte Lösungen bzw. Aktionspfade zur Digitalisierung und globalen Prozessverbesserung. Er hat Erfahrungen als international tätiger Projektmanager (PMP) in verschiedensten Kundensituationen. Als Unternehmensberater bei ACCENTURE hatte Reda Mostafa mit vielem namhaftem internationalen Kunden verschiedenster Industrien zusammengearbeitet. In seiner Laufbahn hat er sich fortwährend, sowohl mit Business Prozess Integration der Produktentwicklungsbereiche, der Produktion und der Supply Chain, als auch mit CarveOut-Themen beschäftigt.
Digitalisierung ist der Traum von nahtloser Integration, Verfügbarkeit und Kontrollierbarkeit aller digital verfügbaren Daten.
Wer auf diesen Traum hinarbeitet, den beglückwünsche ich, denn Träume zu haben, ist motivierend. Mitarbeiter aller Ebenen stehen heute vor der Herausforderung, diesen Traum umzusetzen. Die Technologie ist da, aber wie überzeuge ich meinen Chef? Wir brauchen einen Business Case, denn es reicht nicht, eine schöne Technologie einzuführen. Die Vorteile, die Ziele und der Weg dorthin muss klar beschrieben werden. Der Traum ist also gut, gesunder Realismus auch.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, die Digitalisierung voranzutreiben. Diejenigen Ansätze, die technologisch überzeugen und einen gewissen Wow-Effekt haben, gehören in der Umsetzung allerdings oft zu den Anspruchsvolleren. In diesem kurzen Blogpost würde ich das Pferd gerne mal von hinten aufzäumen: Was sind die Voraussetzungen für das Gelingen? Wie kann ich meine eigene Digitalisierungsreife auf den Prüfstand stellen?
Auch wir als Softwareanbieter müssen dafür sorgen, dass nicht nur die technische Lösung, sondern auch der strategische Digitalisierungsansatz ausreichend beleuchtet wird. Anhand von zwei Beispielen möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie ein einheitliches Datenmodell die Grundlage für vielfältige Digitalisierungsprojekte schafft.
Beispiel 1: Was brauche ich, um Augmented Reality (AR) in der Industrie erfolgreich einzusetzen?
Budget und/oder ein Projekt? Ja, aber das nehme ich zunächst als gegeben hin.
Technisch gesehen brauchen Sie ein Endgerät, das kann ein sogenanntes Wearable sein, z.B. eine HoloLens oder eine RealWear-Brille, ein Tablet oder ein Smartphone. Als nächstes benötigen Sie eine App, die die AR-Experience darstellen kann. Das dritte Element ist eine Software bzw. Plattform, mit der Sie diese Art von Apps/Experiences herstellen können. Insbesondere wenn Sie digitale 3D-Modelle des physischen Equipments augmentieren wollen, brauchen Sie die Möglichkeit, verschiedenste 3D-Formate oder die 3D-Inhalte durch z.B. Scanning erstellen zu können. Wollen Sie in die Augmentierung auch reale Livedaten einbeziehen und positionieren, benötigen Sie eine Möglichkeit auf die Livedaten des Systems zuzugreifen. Im letzteren Fall sprechen wir von „Sourcing“ oder „Datensammlung“, also der Möglichkeit, Daten aus verschiedensten Systemen, Steuerungen und Sensoren zu konsumieren an die dreidimensionale Repräsentation (3D-Modell) des physikalischen Equipments zu heften und somit in der Experience bereitzustellen.

Mit diesen vier wesentlichen Bestandteilen kann man sich eine schöne AR-Experience erstellen.
Sehen wir uns nun die Erstellung der AR-Experience etwas genauer an.
Wie stellt man sicher, dass das 3D-Modell (z.B. eines Ventils) aus dem System der Entwicklung die korrekte Zuordnung zu dem im Assetmanagement gepflegten Eintrag des Ventils und der auf Sensorenebene zugehörigen Sensoreninformationen von ein und demselben Ventil in der HoloLens sehen kann?
Da die drei genannten Datenquellen zum Teil redundante Informationen des Ventils beinhalten, muss man sehr genau auf eindeutige Identifizierung und das Datenmodell achten. Das ist ein Aufwand, den man in einem einfachen PoC (Proof of Concept) manuell betreiben kann und muss.
Um diesen Prozess aber nachhaltig und sicher zu etablieren, bedarf es einer Vereinheitlichung der Strukturen, eines Referenzmodells, das über die verschiedenen Disziplinen und Softwarelösungen hinweg eine Datenkonsistenz sicherstellt. Datenkonsistenz, auch Datenintegrität genannt, bezeichnet die Korrektheit der in einer Datenbank oder einem verteilten System gespeicherten Daten.
Dieses einheitliche Datenmodell kann als Vorlage für eine IIoT-Plattform genommen werden, um daraus eine ThingModel*-Struktur abzuleiten. Alle Elemente einer Anlage sind sowohl in der Anlagen-(Asset-)Struktur als auch im IIoT-Datenmodell vorhanden. Unternehmen tuen also gut daran, einheitliche Strukturen zur Beschreibung ihrer Anlagen aufzubauen, um hieraus verschiedenste IoT-Use-Cases abzuleiten.
Hat man noch kein Datenmodell eingeführt, ist es trotzdem möglich, die Digitalisierung voran zu treiben. Gerade kleinere Unternehmen, die nicht nach der großen digitalen Transformation streben, sondern lediglich neue Methoden gewinnbringend einführen möchten, können mit kleinen Schritten anfangen. Auch hier wird sich ein einheitliches Vorgehen etablieren und quasi mit zunehmender Anwendung die Bedeutung einheitlicher Datenstrukturen offensichtlicher.
Exkurs: Die Proof of Concept (PoC)-Falle
In vielen Fällen werden sehr schnell PoCs durchgeführt, die auch ein erfolgreiches Ergebnis bringen. Manchmal ist aber, sobald die ersten Ergebnisse präsentiert werden, die Front der Skeptiker so massiv, dass es trotz Applaus und Beifall leider nicht möglich ist, die Erfahrungen in ein Projekt mit unternehmensweiter Nutzung münden zu lassen. Um dieser PoC-Falle zu entgehen, sollte man in einer frühen Phase neben den Zielen auch die Nachhaltigkeit und Skalierbarkeit der Lösung besprechen. Gut vorbereitet und entsprechend an den Unternehmenszielen ausgerichtet, kann man aus dem PoC ein Projekt entstehen lassen.
Aber wie wird aus dem Datenmodell ein skalierbares Instrument zur Verbesserung der täglichen Arbeit?
In einem Unternehmen gibt es unterschiedlichste Rollen, interne und externe Mitarbeiter. Aus prozessualer Sicht haben sie bestimmte Tätigkeiten durchzuführen, um mit dem „richtigen“ Input zur Durchführung der Aufgabe laut Beschreibung den gewünschten Output zu erzielen.
Bleiben wir bei dem Beispiel AR, dann liegt es in der Natur der Dinge, dass der Input tätigkeits- und rollenspezifisch ist, also wird es unterschiedliche Sichten (die des Wartungstechnikers, des Bedieners der Maschine, etc.) auf das gleiche Equipment geben. Dafür ist das Datenmodell so wichtig: Ist das Verfahren der Dateneinbindung und der Visualisierung einmal etabliert, kann es für zahlreiche Aufgaben und unterschiedlichste Rollen im Werk oder unternehmensweit angewandt werden.
Der anfängliche Aufwand für Definition und Durchführung des Verfahrens wird adaptierbar und dadurch geringer. Weitere Use-Cases können in kürzerer Zeit erstellt werden, ohne dabei die Konsistenz der Daten jeweils prüfen zu müssen.
Ein einheitliches Datenmodell und Tools, die das IoT in gesamter Breite (von der Sammlung der Daten bis zum Endgerät) unterstützen, sind hier der beste Mix zum Erfolg.
Beispiel 2: Digitalisierung und höhere Mitarbeitereffizienz?
Manche Mitarbeiter bekommen schon beim Titel dieses Kapitels ein etwas ungutes Gefühl, sicher ähnlich zur Situation vergangener Industrierevolutionen. Aber ich würde sagen: ein Mitarbeiter, der durch digitale Medien und deren Orchestrierung die Informationen, die er für seine Arbeit braucht, schneller im Zugriff hat, ist einfach motivierter und muss nicht oder weniger mit lästigen administrativen Aufgaben umgehen.
Bei einem Inspektionsrundgang benötigen Mitarbeiter beispielsweise eine Aufgabenliste, Informationen des Werkes, der Produktionsline und ggf. detaillierte Informationen zu den Equipments und Sensoren, die man prüfen soll. In einem Proof of Concept haben wir dies für ein großes Prozessindustrieunternehmen auf Basis unserer IIoT-Plattform gelöst.
Grundvoraussetzungen für das Gelingen waren - genau wie beim ersten Beispiel - ein Endgerät, eine App, eine Software bzw. Plattform, die ein Dashboard erstellen kann, und eine Möglichkeit der Datensammlung über Datenschnittstellen zu unterschiedlichsten Systemen.
In diesem Fall hatten wir vier unterschiedliche Systeme, die Informationen zur Linie und zu einzelnen Assets bereitstellten. Hinzu kam eine Software, die Arbeitsschritte definierte und protokollierte. Etablierte Systeme der Automatisierungspyramide (ERP, MES, SCADA etc.) lieferten aktuelle Informationen zum Status und wurden neben den anderen Informationen in einem Dashboard wiedergegeben. Die Plattform musste dabei unterstützen, Informationen des lokalen Standorts darzustellen und eingegebene Daten sowie Störungsmeldungen zurückmelden zu können.
Anlagenstrukturdaten wurden aus dem Engineering-System über eine standardisierte Schnittstelle (DEXPI, Data Exchange in the Process Industry) eingelesen und entsprechend im ThingModel* abgeändert.
Da ist es wieder - das Datenmodell. Die sichere Orchestrierung digitaler Daten wurde auch hier auf Basis eines Datenmodells gewährleistet.
Die Skalierbarkeit der Anwendung wird hier noch deutlicher, da die Komplexität auf unterschiedlichste Systemlandschaften in unterschiedlichen Produktlinien und sogar unterschiedlichen Werken konsistent gehalten werden kann. Dieser Einmalaufwand macht sich bemerkbar und die Digitalisierung kann sukzessive ausgebaut werden. Das kann bis zu einer einheitlichen Bewertbarkeit und Konsolidierung von Betriebstätten und globalen KPIs führen.
Zusammenfassend sehen wir eine Tendenz zur Standardisierung sowohl in der Vorgehensweise als auch in der Datenstruktur. Die Datenstruktur und ein abgestimmtes IIoT-Datenmodell öffnen mannigfaltige Möglichkeiten, flexibel und schnell Use-Cases für Digitalisierungsinitiativen zu erstellen. Die Mitarbeiter werden um ein Vielfaches effizienter, weil sie Informationen rollenspezifisch und aus verschiedensten Systemen beziehen können. Viele administrative Aufgaben entfallen und Entscheidungen können wesentlich schneller getroffen werden.
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie ein einheitliches Datenmodell in Ihrem Unternehmen Mehrwert generieren kann, empfehle ich Ihnen einen Beratungstermin in einem unserer Center für digitale Transformation.
*ThingModel
Mithilfe eines ThingModels lässt sich in ThingWorx, der IIoT-Plattform von PTC, ein Datenmodell verwirklichen. Ein „Thing“ ist dabei eine Instanz, die eine physische Anlage, eine Teilkomponente oder einen Sensor repräsentieren kann. Anhand von Eigenschaften innerhalb dieser Instanz können Echtzeitdaten zugeordnet werden. Mithilfe von Benutzerinteraktionen sowie durch definierte Ereignisse und regelmäßige Statusberichte können Aktivitäten oder Prozesse ausgelöst werden.
Damit die Eigenschaften und die Logik für wiederkehrende, gleiche Instanzen nicht erneut implementiert werden müssen, kann man mithilfe von ThingTemplates eine Vorlage erstellen, die diese an alle Instanzen vererbt, wenn diese von der Vorlage abgeleitet werden.