Wie die digitale Transformation eine nachhaltige industrielle Entwicklung unterstützen kann

Verfasst von: Markus Hannen
9/16/2021

Lesezeit: 7 min

Es wird ernst. Kunden fordern den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit zunehmend ein. Investitionsmittel werden immer öfter nur für Unternehmen bereitgestellt, die sich für die Umwelt einsetzen. Für Unternehmen hängen nun Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit voneinander ab. Industrieunternehmen, die das erkennen kommen um einen Paradigmenwechsel nicht herum, um beiden Zielen Rechnung zu tragen.

Unternehmenserfolg und wirtschaftlicher Gewinn werden zukünftig verstärkt von folgenden Faktoren abhängen:

  • Einführung nachhaltiger Produkte, die für Kunden attraktiver sind und damit Wachstumstreiber darstellen.
  • Verbesserte operative Leistung der Produktionsstandorte, insbesondere durch die Reduzierung von Qualitätsmängeln und Energieverbrauch.
  • Senkung der indirekten Kosten durch Verringerung der Reisetätigkeit der Mitarbeiter, Reduzierung und Vermeidung von Treibhausgasemissionen wie CO2 und damit verbundener Abgaben.

Diese wirtschaftlichen Ziele sind verknüpft mit den ökologischen Gewinnen, die die Hersteller beeinflussen können: Dekarbonisierung der Produktion durch Reduzierung der direkten Emissionen von Treibhausgasen und Partikeln, Reduzierung des Energieverbrauchs und Reduzierung der indirekten Treibhausgasemissionen, die insbesondere mit den Reisen der Mitarbeiter, Rohstoffen, Betriebsmitteln, Lieferanten, Wiederverkäufern usw. verbunden sind.

Die offensichtliche Korrelation von wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen macht diesen Ansatz attraktiv. Nachhaltige Entwicklung erfordert daher, dass Ingenieure im Sinne eines kompletten Lebenszyklusmanagements für Produkte und Produktionsanlagen denken, vom Entwurf bis zum Recycling oder zur Zerstörung. Wirtschaftliche und ökologische Vorteile können in jeder Lebensphase eines Produkts erzielt werden – Design, Herstellung, Werbung und Marketing, Nutzungsdauer und Ende der Lebensdauer, Entsorgung oder Recycling.

Die Auswirkungen von Unternehmen auf die Umwelt müssen auf ein neutrales Niveau gesenkt werden. Um ihr Engagement für den ökologischen Wandel zu erleichtern, können Industrieunternehmen auf leistungsstarke Tools wie computergestütztes Design und Augmented-Reality-Software (AR) sowie Software zur Erstellung digitaler Zwillinge zurückgreifen.

Vom Design zum Ökodesign: Digitale Technologien für mehr Nachhaltigkeit

Ohne es immer zu wissen, verfügen Industrieunternehmen, die sich für die digitale Transformation geöffnet haben, bereits über die erforderlichen IT-Werkzeuge, mit deren Hilfe sie den ökologischen Wandel erfolgreich gestalten können.

Alles beginnt bereits in der Entwurfsphase. Schon seit mehreren Jahrzehnten nutzen Planungsbüros computergestützte Designsoftware, um ein Produkt oder einen Fertigungsprozess zu entwerfen. Mit Hilfe von Simulationssoftware werden dann die physikalischen und logischen Eigenschaften unter realitätsnahen Bedingungen virtuell getestet. Dank dieses Schrittes entfällt die Notwendigkeit, Zwischenprototypen zu erstellen, was zu Einsparungen bei Material und Energie führt.

Generatives Design

Generatives Design ermöglicht es Ingenieuren, Algorithmen zu verwenden, die Designoptionen für die Erfüllung bestimmter Anforderungen vorschlagen, z. B. die Notwendigkeit, die endgültige Masse eines Produkts zu reduzieren. Generatives Design fügt sich perfekt in die additive Fertigung ein, wo Letzteres möglich ist. Im Vergleich zu Verfahren wie der maschinellen Bearbeitung, bei der Material abgetragen wird und daher Abfall entsteht, ermöglicht die additive Fertigung Einsparungen bei den Materialien.

Produktlebenszyklus-Management

Software für das Produktlebenszyklus-Management (PLM) trägt ebenfalls zu dieser positiven Dynamik bei, da sie ein ziemlich genaues Maß an Transparenz und Rückverfolgbarkeit bezüglich des Kohlenstoff-Fußabdrucks eines Produkts während seiner gesamten Lebensdauer bietet. Auf die gleiche Weise, wie wir die Masse eines Produkts aufbauen können, können wir auch seine Gesamtkohlenstoffbilanz zusammenzählen, um Ingenieuren bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen zu helfen. PLM-Software umfasst ebenfalls Funktionen, die die Einhaltung der REACH-Verordnung über die Verwendung von potenziell gesundheits- und umweltgefährdenden chemischen Stoffen sicherstellen. Bei der Wahl von weniger umweltbelastenden Komponenten und Materialien geht es nicht nur um die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen. Sie vervollständigt zudem den positiven Kreislauf von Design und Wiederverwendung nachhaltiger Produkte.

Augmented Reality und digitale Zwillinge

Designmethoden, die in einigen Fällen Augmented Reality (AR)einbeziehen, werden in finanzieller und ausstattungsmäßiger Hinsicht immer zugänglicher und ermöglichen es Designern, sich mit einem maßstabsgetreuen Modell eines Produkts, dem sogenannten digitalen Zwilling (Digital Twins), zu verbinden. Der Fernzugriff auf solche Modelle macht Reisen überflüssig und spart so Energie, Kosten und Zeit.

Die gemeinsame Nutzung der oben genannten IT-Lösungen verkürzt die Produktentwicklungszeiten und reduziert damit den indirekten Kohlenstoff-Fußabdruck eines Produkts.

Kosten- und Emissionsersparnis auf mehreren Ebenen

Die Entwurfsphase ermöglicht auch die Simulation von produktiven Systemen (Fertigung, Lagerung und Intralogistik), Prozessfaktoren (wie Energieverbrauch und das Risiko von Qualitätsmängeln und Ausschuss) und der Rolle des Menschen in diesen Prozessen. Die Simulation von Prozessen unterstützt Hersteller bei ihrem digitalen Wandel, indem sie den Entwurf flexibler Produktionslinien ermöglicht, die verschiedene Produktserien herstellen oder montieren können. Der Übergang von spezialisierten Standorten zu flexiblen Fabriken und dezentraler Produktion ist eine zentrale Herausforderung, sowohl in wirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht.

Die Phase des „Ökodesigns“ – angesichts der Allgegenwärtigkeit der Umweltdimension ist dieser Begriff legitim – bietet einen doppelten Nutzen. Sie optimiert die Erstellung eines Produkts oder Prozesses und kann eine Quelle für Einsparungen bei Materialien, Energieverbrauch und Produktionsfläche sein. Außerdem unterstützt sie die Zusammenarbeit per Fernzugriff, wodurch Reisen und Abfall vermieden werden.

Vernetzte Produktion und vorausschauende Wartung: Auf dem Weg zu einer sparsameren Produktion

Operative Spitzenleistung beinhaltet auch den Einsatz von vernetzten Maschinen, um die Produktivität zu messen und Ausfälle zu antizipieren, die industrielle Leistung von Standorten zu vergleichen und zu optimieren sowie Qualitätsmängel zu minimieren.

Die Minimierung oder gar Beseitigung von Qualitätsmängeln hat einen doppelten Nutzen. Sie vermeidet ungeplante Maschinenstillstände, die besonders kostspielig sind, und reduziert die zum Teil sehr teuren Materialverluste. Mit modellbasierter Definition, einer IT-Projektmanagement-Methode, lassen sich diese Phasen durch Iteration mit Werkzeugen zur Simulation und Optimierung von Fertigungsprozessen verbessern. Reduzierte Betriebszeiten der Produktionslinien und ein genau abgestimmter Materialverbrauch bremsen automatisch den Anstieg der Energiekosten und der Treibhausgasemissionen.

Diese Lösungen kombiniert mit PLM-Software erlauben eine präzise, nachvollziehbare Sicht auf Veränderungen in Maschinen und Produktionsanlagen. Vernetzte Maschinen ermöglichen es auch, reale Daten über die Leistung des Fertigungsprozesses (in Bezug auf Energieverbrauch, Qualitätsmängel usw.) an die Ingenieure und Designer zurückzusenden und so die notwendigen Korrekturen am Produkt oder dem zugehörigen Fertigungsprozess vorzunehmen.

Eine vorausschauende Wartung profitiert auch vom Einsatz künstlicher Intelligenz. Da sie Betriebsstörungen und Ausfälle von Materialien oder Prozessen identifiziert und analysiert, sorgt sie für einen reibungslosen Betriebsablauf. Das steigert die betriebliche Effizienz erheblich und trägt indirekt dazu bei, die Industrie sparsamer zu machen. Sparsamkeit in Bezug auf Material und Energie ist gut für den Planeten... und ebenso gut für die Investitionsrendite.

Umweltverträgliche Produkte

Der Trend zu Wegwerfprodukten wird heute umfassend in Frage gestellt. Wenn Hersteller einen ökologisch verantwortungsvollen Ansatz verfolgen, schlagen sie den umgekehrten Weg ein.

Dieser beginnt bereits in der Entwurfsphase, nämlich mit der Entwicklung eines Produkts, das während seines gesamten Lebenszyklus leicht zu warten ist. Dies verlängert die Produktlebensdauer und vermeidet so einen übermäßigen Verbrauch von Materialien und Energie, die für den Austausch des Produkts erforderlich sind. Das modulare Design geht noch einen Schritt weiter, da es die Produkte skalierbar macht.

Die Entwicklung von Produkten, die mit AR-unterstützten Wartungstechniken kompatibel sind (bei denen Demontage-/Montage- und sogar Reparaturanweisungen mithilfe von AR-Technologie bereitgestellt werden), optimiert die Wartung und reduziert den Bedarf an dedizierten Vor-Ort-Reparaturanlagen und Personal. Das Konzept kann auf eine andere Ebene gehoben werden: Experten helfen unerfahrenem Personal aus der Ferne, ebenfalls unterstützt durch AR.

Die Anbindung von Produkten an eine mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Datenbank ermöglicht das Sammeln von Daten durch im Produkt eingebettete Sensoren über ein Datenübertragungsnetzwerk. Diese Daten können ausgewertet und genutzt werden, um Probleme proaktiv anzugehen, bevor sie zu Ausfällen führen. Auch das verlängert die Lebensdauer von Anlagen und Produkten.

Die Verknüpfung von Produkten mit Datenbanken ist eine nützliche Quelle für Feedback. Die Analyse des realen Verhaltens von Produkten trägt weiter dazu bei, dass die Konfigurationen für zukünftige Fertigungsserien angepasst werden können.

Das richtige Maß: Grundprinzip nachhaltiger Produktion

Eine wichtige Regel für umweltverträglich konzipierte Produkte ist, dass sie die angegebenen Anforderungen so genau wie möglich erfüllen müssen – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ein schlecht konzipiertes Produkt hat ein höheres Risiko, auszufallen und zusätzlichen Wartungsaufwand zu verursachen. Ein Produkt, das über die spezifizierten Anforderungen hinaus entwickelt wurde, verbraucht jedoch mehr Materialien, verwendet mehr Komponenten und erfordert einen höheren Wartungsaufwand während der Lebensdauer.

Digitale Technologien sind ein wirksamer Katalysator für das Design und die Herstellung von weniger umweltbelastenden Produkten, die auf sauberen Produktionsverfahren basieren.

„Wenn du den Wandel nicht an die Hand nimmst, wird er dich an der Kehle packen“, sagte Winston Churchill. Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung des erfolgreichen strategischen Wandels, den die Industrie vollziehen muss.
Die Industrie ist seit mehr als einem Jahrhundert ein Motor des technischen Fortschritts und der wirtschaftlichen Entwicklung, aber gleichzeitig ein Hauptverursacher der Umweltverschmutzung. Jetzt, da die Industrie an einem Scheideweg steht, ist es an der Zeit, dieses Paradox zu überwinden. Eine umweltfreundliche, nachhaltige Industrieproduktion ist schon heute ein realisierbares Ziel, das mit Hilfe digitaler Lösungen so umgesetzt werden kann, dass Wachstum und Wirtschaftsleistung mittel- und langfristig nicht beeinträchtigt werden.

Tags: Digitale Transformation Digital Twin Industrie 4.0

Der Autor

Markus Hannen

Markus Hannen, geboren 1967, hat nach seiner Ausbildung als Betriebsschlosser an der Gerhard-Mercator-Universität in Duisburg allgemeinen Maschinenbau studiert.

Nach seinem Studium war er von 1995 bis 1999 bei Siemens Zentrale Siemens ZT in München und bei der Siemens Verkehrstechnik in Krefeld angestellt. Dort beschäftigte er sich primär mit dem Aufbau von durchgängigen digitalen Entwicklungs- und Fertigungsprozessen für Schienenfahrzeuge.

Seit 1999 ist er bei PTC beschäftigt, zunächst als Applikationsingenieur im Bereich PLM.
Im Jahr 2014 wurde Markus Hannen Vice President der Presales Organisation, verantwortlich für den technischen Vertrieb.
Im Oktober 2019 übernahm er die Funktion des VP Go to Market für den deutschsprachigen Raum, um das Business Development und die Marktentwicklung voranzutreiben.

Herr Hannen beschäftigt sich außerdem mit vertikalisierter Geschäftsentwicklung sowie dem Branchenmanagement. Seine weiteren Schwerpunkte umfassen u. a. das Product-Lifecycle-Management, die Digitalisierung sowie die ganzheitlichen Aspekte von Industrie 4.0. Diese Punkte tragen dazu bei, Firmen bei der digitalen Transformation zu einem agilen Unternehmen zu unterstützen.