PTC hat mich gebeten, mit Ihnen, unseren Lesern, jeden Monat meine Gedanken zu teilen. Für meinen ersten Einsatz möchte ich auf ein häufig erörtertes, aber nur selten bis ins Einzelne analysiertes Thema eingehen, das moderne 3D-Modellierungsexperten beschäftigt: die direkte Modellierung. Insbesondere auf die direkte Modellierung in einer „parametrischen Umgebung“.
Wir beginnen mit einem Punkt, der, ob versehentlich, absichtlich oder aus mangelndem Verständnis, häufig falsch verstanden wird. Wir sprechen hier von der direkten Modellierung in einer verlaufsbasierten Umgebung.
Sehen wir uns zur Erklärung einmal die drei Hauptkomponenten an.
1. Parametrische Modellierung: Die Form wird hier durch Eingabe von numerischen Werten erzeugt. Wird verwendet, wenn Bemaßungen in einer Skizze oder die Eingabedaten für ein 3D-Feature vorhanden sind. Zwischen den unterschiedlichen Parametern können Beziehungen bestehen (z. B.: LineB=2xLineB). Diese Beziehungen können entweder zwischen konsistenten Features eines Teils oder auch zwischen unterschiedlichen Teilen existieren. Mithilfe der Parameter können Sie Konstruktionsänderungen gemäß spezifischen Anforderungen automatisieren. Das ist die große Stärke dieser Vorgehensweise.
2. Verlaufsbasierte Modellierung: Hierbei wird die Konstruktion von Geometrie in leicht verwaltbare Abschnitte (in der Regel als Features oder Konstruktionselemente bzw. KEs bezeichnet) unterteilt. Die gemeinsame Verlaufsstruktur legt fest, wie aus diesen Features die endgültige Form zusammengesetzt wird. Sie können sich diesen Ansatz wie ein Kochrezept vorstellen. Als PTC Creo Anwender sind Sie mit der Vorgehensweise bestens vertraut.
3. Direkte Modellierung: Das ist der Neuzugang. Nun, um genauer zu sein: Ein 30-jähriger Neuzugang, der versucht, hip und angesagt zu sein. Die direkte Modellierung existiert seit Jahrzehnten, hat jedoch erst in jüngster Zeit einen allgemeinen Bekanntheitsgrad erlangt. Dabei wird die Geometrie durch Drücken, Ziehen, Verschieben und Drehen von Geometrieelementen und Manipulieren von Flächen, Kanten und sogar Eckpunkten erzeugt. In ihrer reinsten Form gibt es keinen Verlauf als Sicherheitsnetz. Es ist lediglich möglich, die letzten Schritte rückgängig zu machen. In der Regel gibt es auch keine Features.
In den letzten Jahren wird die Frage „direkt oder parametrisch“ überall diskutiert. Online, bei Webinars und Konferenzen und wahrscheinlich auch in der Kneipe. Was mich verärgert, ist, dass die Frage an sich einfach nicht korrekt gestellt ist.
Es gibt kein Schwarz oder Weiß
Die meisten Direktmodellierungssysteme verwenden Features (in der Regel Bohrungen, Schalen sowie Rundungen und Fasen). Die meisten Direktmodellierungssysteme bieten auch parametrische Modellierungstools. Sie ahnen es schon: Viele verlaufsbasierte Modellierungstools bieten gewisse direkte Bearbeitungsmöglichkeiten, aber eben in ihrer nativen verlaufsbasierten Umgebung. Diese letzte Gruppe finde ich besonders interessant.
Konstruktionsänderungen leicht gemacht
Sehen wir uns einmal an, welche Vorteile sie gegenüber der reinen verlaufsbasierten Modellierung bietet. Stellen Sie sich vor (das dürfte Ihnen nicht schwerfallen), Sie hätten den ganzen Tag an einem Elektronikgehäuse gearbeitet. Die A-Flächen sehen fantastisch aus. Der innere Aufbau entspricht den Funktionsanforderungen. Es sind keine komplexen Werkzeuge dafür erforderlich, der Entwurf ist also auch günstig zu produzieren. Alles ist bestens – denken Sie.
Da meldet sich der Elektroniklieferant mit einer kurzfristigen Änderung an der Platine. Ein neu hinzugefügtes RFID-Modul verursacht Durchdringungen mit einem Ihrer internen Features. Dieses Feature muss nun um 5 mm verschoben werden. Eigentlich nicht schlimm.
In einem traditionellen verlaufsbasierten System müssten Sie hierzu allerdings zunächst das Feature finden, es im Verlauf zurücksetzen, die Änderungen vornehmen und dann hoffen, dass nach dem Regenerieren des Teils alles passt. Manchmal funktioniert es. Manchmal aber auch nicht. Das ist das Spannende an der verlaufsbasierten Modellierung. Nachfolgende Features können die Änderung nicht übertragen, und das ganze Modell funktioniert nicht mehr. In diesem Fall können Sie den ganzen nächsten Tag damit verbringen, das Modell zu korrigieren.
Und das alles nur, um ein Feature um ganze 5 mm zu verschieben.
Eine Technologie wird zum Tool
Wenn Direktbearbeitungstools direkt in Ihrem verlaufsbasierten Modell verfügbar sind, rufen Sie einfach den Befehl zum Verschieben, Drücken und Ziehen auf, ergreifen die Flächen des Features und verschieben sie um 5 mm. Fertig. So einfach ist das. Das Verschieben wird im Verlauf gespeichert und am Ende der Feature-Liste angefügt.
Hier kommen die Stärken der Direktbearbeitung voll zum Tragen – als Teil einer verlaufsbasierten Umgebung. Und wenn etwas so einfach und leistungsfähig ist, müssen Sie nicht mehr lange darüber diskutieren. Aus einer Technologie wird damit ein Tool. Und erst dann entfaltet sie ihren ganzen Nutzen.