Von Martin Messner und Arian van Hülsen
Mit dem Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) sind unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen verknüpft. Die Fähigkeit, sie zu beherrschen wird für Unternehmen, Staaten und Gesellschaften in naher Zukunft unabdingbar werden. In der Praxis entstehen inzwischen Lösungen, denen man ihren KI-Anteil zunächst gar nicht ansieht.
Herausforderungen bei der Implementierung
Die wesentlichen Kriterien für erfolgreiche KI-Anwendungen liegen in der Menge und Qualität der Daten, mit denen die Algorithmen trainiert werden, und in einer klar definierten und konstanten Aufgabenstellung. Diese beiden Faktoren entscheiden darüber, in welchem Umfang die große Stärke von KI-Anwendungen aus sehr großen, unüberschaubaren Datenmengen die richtigen Schlüsse zu ziehen genutzt werden kann.
Eines der größten Probleme liegt allerdings in der Verfügbarkeit der Daten. Entweder ist es nahezu unmöglich, Daten für realistische Modelle in einer erforderlichen Qualität und Menge zu beschaffen, oder es wäre zwar möglich, scheitert aber am meist berechtigten gesellschaftlichen Widerstand oder anderen Interessenkonflikten. Während immer größere öffentliche KI-Forschungsprojekte entstehen, gibt es im Praxisalltag bereits konkrete Anwendungsfälle.
Generative Design: Unbegrenzte Formenvielfalt
Ein großes Anwendungsfeld ist das industrielle Produktdesign. Im Fertigungsprozess können dank der additiven Fertigung neue Formen entstehen, wo man sich zuvor den physischen Grenzen des Drehens, Fräsens oder Stanzens unterwerfen musste. KI ist ideal, um die Gitterstrukturen zu berechnen, mit deren Hilfe die Formen gedruckt werden.
Die CAD-Software Creo setzt mit der neuesten Version 7 bei der Topologieoptimierung auf die Anwendung von KI. Sie bestimmt, wie die ideale Gitterstruktur aussehen muss, um bestimmte Produkteigenschaften zu erfüllen. Dieses sogenannte Generative Design wird mittelfristig den klassischen Produktionsprozess revolutionieren. Der Markt für Software mit Generative Design-Werkzeugen wird bis 2030 auf fast 45 Milliarden US-Dollar wachsen.
Augmented Reality: Sehen lernen
Auch im Kontext von Augmented Reality (AR) kommt KI zum Einsatz. An der Schnittstelle zwischen physischer und digitaler Welt hilft sie, Objekte oder Areale der Wirklichkeit in berechenbare Fakten umzuwandeln. Mit Hilfe des sogenannten Deep Learning können digitale Objekte detailliert analysiert und erlernt werden, um diese dann später in der Wirklichkeit von jedem Winkel aus wieder zu erkennen.
Dieser Anwendungsfall kommt bereits sehr häufig vor. Ein Hersteller von E-Autos nutzt diese Technologie, um angelieferte Bauteile zu identifizieren und ad-hoc genaue Informationen aus dem Warenwirtschaftssystem zu erhalten oder direkt diese Bauteile nachzubestellen. Interessant ist dabei, dass zum Trainieren der KI das digitale CAD-Modell ausreicht, um in der realen Welt Objekte zu erkennen. Dadurch lässt sich der ganze Prozess automatisieren und auf das gesamte Lager anwenden.
Mit digitalen Zwillingen zur vorbeugenden Wartung
Ein anderes Verfahren der KI ist die Vorhersage von Ereignissen. Das sogenannte Machine Learning, das auf mathematischen Methoden der Mustererkennung basiert, baut auf Basis eines digitalen Zwillings einer Maschine eine Art “Verhaltensgehirn” auf, das zwischen gewolltem und ungewolltem Verhalten unterscheiden und daraus Prognosen ableiten kann. Die Vorhersage von Störfällen und die Planung von vorbeugenden Wartungsbesuchen wird so deutlich präziser. KI schützt hier vor unnötigen Wartungseinsätzen, die ebenso Material- und Arbeitszeitkosten erzeugen wie ungeplante Ausfälle von Maschinen. Das Kostensparpotenzial ist enorm. Im Schnitt kostet über alle Industrien hinweg eine einzige Stunde Ausfallzeit 220.000 Euro, für betriebskritische Maschinen können die Kosten aber auch schnell in die Millionen gehen.
Wie dramatisch so ein Ausfall sein kann, zeigt sich bei einem global agierendem Chemieunternehmen, das eine Abgasverbrennungsanlage in einem Chemiepark betreibt. Fällt diese Anlage ungeplant aus, müssen alle angeschlossenen Produktionsfabriken ihren Betrieb ebenfalls unterbrechen. Die Kosten steigen also pro ausgefallener Stunde rasant an. Mit Hilfe der KI-basierten IIoT-Plattform ThingWorx von PTC wurde ein Vorhersagemodell entwickelt, mit dem sich solche Ausfälle zuverlässig prognostizieren lassen. Diese sogenannte Predictive Maintenance zählt zu den Anwendungsfällen mit dem höchsten Wertschöpfungspotenzial.
Digital Thread: Den gesamten Produktlebenszyklus im Blick
Noch tiefer integriert im Prozess führt KI vom beobachtenden zum begleitenden digitalen Zwilling. Eine Fortsetzung des Vorhersagemodells für Betrieb und Service einer Maschine ist die Verwendung der gleichen Technologie bei der Entwicklung der Maschine. Dabei werden die Methoden aus Design, Vorhersage und Augmented Reality zusammengeführt und auf das ganze System angewandt.
Ein echter digitaler Zwilling bietet zahlreiche Wertschöpfungspotenziale für Industrieunternehmen. Der Weg dorthin gehört allerdings auch zu einer der Königsdisziplinen der digitalen Transformation. Der gesamte Produktlebenszyklus von der Entstehung eines Produktes über die Fertigung bis hin zum Einsatz beim Kunden muss erfasst werden. Diese Informationen zum Produktlebenszyklus sind auch als Digital Thread bekannt. Ein Unternehmen, das diese Königsdisziplin erfolgreich gemeistert hat, ist der Fahrzeughersteller Polaris, der sämtliche Datensilos entlang seines Digital Threads eliminiert und den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge erfasst hat.
Entscheidungen von Entwicklern verfügbar machen
Entwickler müssen häufig Entscheidungen fällen, die von mehr Information abhängen, als ihnen zur Verfügung stehen. Etwa welches Material, welches Produktionsverfahren und welche Art der Verbindung sie wählen oder welche Tests sie einplanen sollen. Durch ihre tägliche Arbeit entsteht so eine wertvolle Datensammlung, die mit KI analysiert werden und wie eine Amazon-Bewertung für Kaufentscheidungen Handlungsempfehlungen geben kann: „Andere Ingenieure, die ein ähnliches Problem haben, haben so entschieden…“.
Jede Entscheidung im Entwicklungsprozess, jede Produktvariante und Stückliste wird für PTC-Kunden in der Produktlebenszyklus-Management (PLM)-Lösung Windchill gespeichert. Zu den Kunden von PTC zählt ein großes Pharmaunternehmen, das dank dieses Verfahrens zahlreiche Optimierungen in seinen Entwicklungsprozessen erzielen konnte.
Fazit
Wer künstliche Intelligenz sagt, sollte sich bewusst sein, dass sie künstlich ist. Es ist keine echte Intelligenz, denn sie ist immer nur für ein konkretes Ziel oder einen festgelegten Anwendungsbereich mit klar definierten Aufgaben bestimmt. Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug wie andere auch, und genauso gilt für sie: man muss wissen, wie man sie einsetzt und wozu. Die genannten Anwendungsfälle zeigen, dass künstliche Intelligenz keine Zukunftsvision ist. Sie ist bereits heute ein fester und wertschöpfender Bestandteil von industriellen Lösungen, und Kunden von PTC arbeiten täglich damit. Mit ein wenig Übung wird der Umgang mit künstlicher Intelligenz zu einer sehr eleganten und wertvollen Fähigkeit, die Unternehmen im Wettbewerb stärkt und voranbringt.