Digitaler Wandel holt uns in fast jedem Bereich unseres Lebens ein. Zuhause, auf der Fahrt zur Arbeit und am Arbeitsplatz selbst. Wir alle, mal mehr mal weniger, befinden uns inmitten eines nicht enden wollenden Transformationsprozesses. Doch während wir im Privatleben schon in Apps, Bytes und Clouds denken, ist im Arbeitsalltag oft noch Systemchaos und Aktenordner angesagt. Der kritische Erfolg baut dabei gleichermaßen auf ein Fundament aus Digital Leadership und Unternehmenskultur. Doch mitunter scheinen sich deutsche Unternehmen in digitaler Schockstarre zu befinden. Die Gründe liegen dabei nicht zwingend im mangelnden Technologie-Invest.
Die Welt wird zunehmend und bleibt digital. Das scheinen mittlerweile nicht nur große DAX-Unternehmen verstanden zu haben. Laut dem IT Market Analysten techconsult holt der deutsche Mittelstand langsam auf. Industrie 4.0 und Digitalisierung stehen demnach mit erhöhter Priorität auf der Agenda und finden sich teilweise schon als Kernelement in der Unternehmensstrategie wieder. Doch die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderungen stattfinden, ist alles andere als wettbewerbsfähig. Das zeigt vor allem eine Kennzahl, die im Rahmen der Studie Digitalisierungsindex ermittelt wurde:
Nur 46 % der Befragten bewerten den Aufbau digitaler Kompetenzen im Unternehmen künftig als entscheidenden Erfolgsfaktor.1
Das heißt, dass weniger als die Hälfte der befragten Mittelständler einen tiefgreifenden Organisationswandel oder eine grundlegende Erneuerung des Organisationsapparates für notwendig erachten. Diese Fehlannahme ist fatal. Denn der Auf- und Ausbau digitaler Kompetenzen gelingt nicht über Nacht. Bestandsmitarbeiter können nicht einfach durch digital versierte Neueinstellungen ersetzt werden. Ungeachtet des ethischen Aspektes ist der Arbeitsmarkt für Fachkräfte praktisch leergefegt. Statt die Transformation an der Wurzel zu packen, orientieren sich einige Entscheider an digitalen Prestige-Objekten und übersehen dabei einen der wichtigsten Faktoren für nachhaltigen Erfolg im digitalen Zeitalter: dem veränderten Rollenbild der Führungskraft. Was viele nicht sehen (wollen) ist, dass ohne grundlegenden Kulturwandel das Überleben traditioneller Unternehmen nicht sichergestellt werden kann.
„Digitalisierung ist Chefsache“ – ist ein alter Hut. Eine authentische Delegationsfigur und ein ehrlicher Kulturwandel an der Unternehmensspitze sind Grundvoraussetzungen für die Transformation zum digitalen Unternehmen. Entgegen einem häufigen Vorurteil müssen für eine nachhaltige Wirkung und Manifestation der digitalen Transformation bestehende traditionelle Prozesse oder Strukturen jedoch nicht gänzlich abgeschafft werden. Im Gegenteil! Es gilt auf bestehendes Know-how aufzubauen und dieses durch neue Kompetenzen zu erweitern. Dabei dreht sich bei dieser Veränderung vieles um Mindset. Die richtige Einstellung ist sozusagen die halbe Miete. Stärker als je zuvor wird es künftig auf Reaktionsfreudigkeit und Schnelligkeit, Kreativität und Innovationen ankommen. Mitarbeiter mit der richtigen Einstellung, die sich wertgeschätzt und gefördert fühlen, werden auf Problemstellungen kreativ und mit Verantwortung reagieren. Wissenslücken werden, wenn es darauf ankommt, in Selbstregie geschlossen und cross-funktionale Zusammenarbeit aktiv gesucht.
Eine Unternehmenskultur, die diese Eigenschaften beheimatet, erschafft man jedoch nicht hinter geschlossener Tür durch Umstellung auf Duz-Kultur, der Einführung eines Intranets oder dem obligatorischen einen Tag Home Office. Es gilt ein Verständnis für digitale Anforderungen der neuen Arbeitswelt zu entwickeln, von dem richtigen Umgang mit Ängsten bis hin zum Managen virtueller Teams. Führung muss in digitalen Zeiten vor allem eines, Unsicherheit aushalten. Dort, wo Reaktionsschnelligkeit und Kreativität gefragt sind, wo immer neue Kompetenzfelder entstehen, kann der Chef nicht auf alles eine Antwort haben. Die individuelle Verantwortung des Einzelnen muss wachsen. In dem Buch „Netzwerk schlägt Hierarchie“ von Christiane Brandes-Visbeck und Ines Gensinger2 wird dies sehr schön beschrieben:
„Digitalisierung bedeutet die Zusammenarbeit in Netzwerken und die Organisation von Netzwerken. Eine Innovation ist heute das Ergebnis von Kollaboration und Kooperation, abteilungsübergreifend, oft auch unternehmensübergreifend und eben auch unter Einbeziehung der Mitbewerber und Kunden. Innovationen sind nicht das Ergebnis der Synapsenarbeit eines weisen Chefs, der wie ein guter Hirte vorangeht. Auf dessen Gedankenblitze die Mitarbeiter-Herde geduldig wartet und diese dann ehrfürchtig umsetzt.“
Wenn es gelingt, statt dem durch Druck herbeigeführten Wandel den ehrlichen Antrieb zu entwickeln, die digitale Transformation in Unternehmen als Führungskraft stärker selbst mitzugestalten und als Teil des Teams aktiv vorantreiben, dann kann die Transformation zu einem digitalen, zukunftsorientierten Unternehmen gelingen. Doch dafür braucht es ein neues Management-Verständnis und digitale Kompetenzen – beides kann erlernt werden.
„Die Führungsetage hat das Problem schon längst erkannt. Das eigentliche Problem sind unsere Mitarbeiter.“
Kennen Sie den Spruch? Ich auch. Solche oder ähnliche Aussagen habe ich schon zu Genüge gehört. Ich habe mir jedoch abgewöhnt, die Gegenfrage zu stellen, wie es passieren konnte, dass Führungsetage und der Rest der Organisation ein Parallelleben führen. Wie in einer Beziehung, wo der eine eigentlich schon mit dem nächsten, heißen Ding liebäugelt und sich fragt, warum der Partner zu beschäftigt ist, um diese neue Leidenschaft zu erkennen und sich rechtzeitig wieder in Form zu bringen.
Nun, wo der internationale Wettbewerb sich längst in Stellung gebracht hat, möchten viele Unternehmen ihre Mitarbeiter schnellstmöglich fit für das digitale Zeitalter machen. Um mögliche Luftschlösser direkt zu Beginn zu zerschlagen: Das wird kein einfaches Vorhaben. Die folgende kurze Checkliste3 gibt einen Ausblick darauf, wie die gesamtheitliche Reise gelingen kann.
Mini-Checkliste „Wie Sie Ihre Mitarbeiter auf der digitalen Transformationsreise mitnehmen“:
Abschließend möchte ich Ihnen verschiedene Informationsquellen für weitere Denkanstöße und Impulse mitgeben. Die ada Podcast-Reihe beschäftigte sich in Staffel 3 mit der Frage „Wie bleibe ich innovativ?“. Wertvolle und gut investierte 30 Minuten, die sich besonders gut auf dem Weg zur Arbeit oder auf Geschäftsreise über Ihre bevorzugte Podcast-Plattform konsumieren lassen. Falls Sie auf der Suche nach einem Vorreiter und Changemaker im deutschsprachigen Raum sind, kann ich Ihnen den Film um, mit und von Bodo Janssen, „Die Stille Revolution“, wärmstens empfehlen. Abschließend eine Buchempfehlung inklusive praktischem Digital Leadership Canvas zum aktiv werden und reflektieren: „Netzwerk schlägt Hierarchie: Neue Führung mit Digital Leadership“ von den Autorinnen und erfahrenen Führungskräften, Christiane Brandes-Visbeck und Ines Gensinger im Redline Verlag.
1 techconsult GmbH (2018): Digitalisierungsindex Mittelstand 2018 (Verschiedene Statistiken), unter https://www.digitalisierungsindex.de/studie/gesamtbericht-2018/ (abgerufen 28. April 2019)
2 Brandes-Visbeck, C. & Gensinger, I. (2017): Netzwerk schlägt Hierarchie: Neue Führung mit Digital Leadership, München: Redline Verlag.
3 Mohanka, R. (2018): „Getting to Agile Employee Engagement: a Discussion on Vision vs. Action“, unter: https://www.glintinc.com/blog/getting-to-agile-employee-engagement-a-discussion-on-vision-vs-action/ (abgerufen 28. April 2019)