LiveWorx 2020 – Zusammenfassung: Vier Fähigkeiten, um in der „neuen Normalität“ erfolgreich zu bleiben

Verfasst von: David Immerman
  • 6/9/2020
  • Lesezeit : 8 Min.
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Das wichtigste Event zum Thema digitale Transformation, die LiveWorx, fand dieses Jahr in digitalem Format statt. Es wurden vier Überlebenskünste vorgestellt, mit denen Industrieunternehmen in der „neuen Normalität“ erfolgreich bleiben. Außerdem wurden weitere Denkanstöße und industrielle Innovationen präsentiert.

Während der Show hielt PTC President und CEO Jim Heppelmann eine energiegeladene virtuelle Keynote-Ansprache mit dem Titel „Disrupted: Lessons Learned and the Path Forward“ (in etwa: Nach der Krise – Gewonnene Erkenntnisse und der Weg nach vorn). Hier ist eine Zusammenfassung der vier Fähigkeiten, die Industrieunternehmen in der neuen Normalität benötigen:

  • Für die mobilen und flexiblen Mitarbeiter von morgen ist skalierbare Cloud-Software erforderlich.
  • Lieferketten müssen flexibel sein und Innovation auch bei veränderlichen, unvorhersehbaren Marktbedingungen fördern.
  • Konnektivitäts- und Kooperations-Software ist erforderlich, um die Produktivität von Front-Line Workern in einem wenig digitalisierten Umfeld zu erhalten.
  • Remote Monitoring von Produkten und Betrieben ist der Schlüssel zur Aufrechterhaltung von Betrieb und Geschäftskontinuität.

1. Mobilität und Flexibilität von Mitarbeitern

Die IT-Infrastruktur in vielen Organisationen war nicht darauf vorbereitet, dass unzählige Arbeitnehmer während der COVID-19-Krise ins Home Office wechselten. 75 % der Organisationen stellten sofort auf Richtlinien für das Home Office um, 41 % meldeten infolgedessen eine übermäßige Belastung der internen IT-Ressourcen.

Während IT-Abteilungen die Krise mit kurzfristigen Patches zu bewältigen versuchen, wird für eine flexible und mobile Belegschaft eine langfristige Strategie benötigt. Die erzwungene neue Arbeitsweise hat den Wandel eingeleitet: 74 % der CFOs beabsichtigen, mindestens 5 % ihrer bisher lokalen Mitarbeiter im Anschluss an COVID-19 permanent an mobile Arbeitsplätze zu verlagern.

Zahlreiche Cloud- und SaaS-basierte Tools ermöglichen in bestimmten Bereichen eine nahtlose Umstellung auf das Arbeiten von zu Hause aus. Beispielsweise können dank SaaS-Tools, wie sie für Unternehmens-Software wie CRM, HCM und ERP bereits weit verbreitet sind, Mitarbeiter in entsprechenden Bereichen ohne große Schwierigkeiten von zu Hause aus arbeiten. 

Allerdings werden Produktentwicklungs-Tools auch heute noch vorwiegend lokal eingesetzt. Das dürfte sich aber schnell ändern. IDC prognostiziert, dass bis 2022 ganze 70 % der Hersteller Cloud-basierte Innovationsplattformen und Märkte für die branchen- und kundenübergreifende gemeinsame Entwicklung nutzen werden.

In seiner Präsentation stellte Heppelmann drei Unternehmen vor, die bereits die Vorteile von Cloud- und SaaS-Software nutzen, um den Produktentwicklungsprozess mit dezentralen und geografisch verteilten Entwicklungs-Teams zu ermöglichen.

  • Grey Orange liefert berührungslose Lagerautomatisierungs- und Robotiksysteme für Aufgaben, in denen aufgrund von COVID-19 menschliches Eingreifen vermieden werden sollte. Über die Cloud können die Ingenieure von Grey Orange für digitale Prüf- und Freigabeprozesse per Remote-Zugriff auf Produkt-Design- und andere Informationen zugreifen. Das verbessert die Zusammenarbeit.
  • Fresenius musste als einer der weltweit größten Anbieter von Dialysedienstleistungen und -geräten Isolationskapazitäten schaffen, um auch während der COVID-19-Krise die Behandlung von Dialysepatienten ohne Unterbrechungen aufrechtzuerhalten. Fresenius nutzt die Cloud für nachhaltige Produktentwicklung und Konstruktion durch seine global verteilten Mitarbeiter im Home Office.
  • Garrett Motion ist ein führender internationaler Automobilzulieferer, dessen Entwicklungs-Team normalerweise in einigen wenigen großen Büros in aller Welt zusammenarbeitet. Aufgrund der Krise wurden diese Büros jedoch geschlossen, und die Ingenieure begannen, dezentral von zu Hause aus zu arbeiten. Dennoch litt die Produktivität der Produktentwicklungsorganisation von Garrett nicht unter der Situation, da sie SaaS-Tools für die Produktentwicklung einsetzte.

2. Flexible und innovative Lieferketten

Lieferketten sind bemerkenswert komplex. Das stellt die Produktion gerade in Krisenzeiten vor große Herausforderungen und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Internationale Produzenten wie Automobilhersteller haben im Durchschnitt 500 Tier-1-Zulieferer. Diese haben wiederum jeweils 250 Tier-2-Zulieferer. Das resultierende Lieferkettennetzwerk kann also sage und schreibe 1,25 Millionen Zulieferer umfassen.

In einer modernen Lieferkette muss in jedem Unternehmen dieselbe Version der gleichen Software-Tools installiert und bereitgestellt werden, damit der Datenaustausch möglich ist. Das bedeutet, dass Upgrades innerhalb der gesamten Lieferkette zeitgleich durchgeführt werden müssen, um die Interoperabilität zu erhalten.

Der rasche Austausch von Konstruktionsinformationen für die Entwicklung, Aktualisierung und Herstellung von Produkten leidet unter fehlender Interoperabilität und verdeutlicht, wie wichtig ein nahtloser digitaler Thread ist, um die Kontinuität von Informationen innerhalb der Lieferkette aufrechtzuerhalten.

Heppelmann nannte drei weitere Beispiele für flexible und innovative Lieferketten durch digitale Transformation.

  • Die Francisco Gavidia University entwickelte und baute gemeinsam mit mehreren Unternehmen in wenigen Tagen statt mehreren Wochen oder Monaten ein Beatmungsgerät für COVID-19-Patienten. Mithilfe von SaaS-Tools für die Produktentwicklung konnten die Universität und ihre Partner in der Industrie schnelle Entwurfsiterationen durchlaufen und das Beatmungsgerät per 3D-Druck produzieren.
  • e.GO produziert gemeinsam mit Partnern aus Forschung, Industrie und Städteplanung akkubetriebene Elektrofahrzeuge. Im Rahmen eines Franchise-Geschäftsmodells kann der Franchise-Nehmer einen Fahrzeugentwurf übernehmen, einige Komponenten an den Zielmarkt anpassen und das Fahrzeug herstellen. Dieses flexible Franchise-Produktionsmodell basiert auf dem Austausch von Informationen, der Zusammenarbeit an Lokalisierungsänderungen und der Überwachung des laufenden Datenzugriffs. Zugleich wird innovatives geistiges Eigentum zuverlässig geschützt.
  • Rockwell Automation ermöglicht über einen Digital Twin flexibles Concurrent Engineering für seine Kunden. Ein Digital Twin reduziert Risiken und Ausfallzeiten beim Rollout neuer Fertigungsstraßen oder bei Änderungen an bestehenden Fertigungsstraßen. Durch Simulieren und Testen der Maschinenfunktion vor der Montage in einer Fabrik kann Rockwell die Kommissionierungs- und Validierungszeiten der Automatisierungsingenieure beim Kunden um 50 % und Bedienerschulungen um bis zu 75 % reduzieren. Zugleich wird eine höhere Gesamtanlageneffektivität erzielt.

3. Konnektivität und Zusammenarbeit für Front-Line Worker

Etwa 75 % der Mitarbeiter weltweit gelten als so genannte „Front-Line Worker“ oder „Deskless“-Mitarbeiter, also Mitarbeiter ohne eigenen Computer-gestützten Arbeitsplatz. Das entspricht 2,7 Milliarden Menschen. Die Vorteile der Digitalisierung kommen ihnen üblicherweise nicht zugute. Videokonferenz-Software wie Microsoft Teams und Zoom ermöglichen schreibtischgebundenen Mitarbeitern an ihren Desktop-Rechnern die Zusammenarbeit, doch Front-Line Worker sind in der realen Welt tätig. Mit Augmented Reality (AR) ändert sich dies jedoch.

Mit AR-gestützter Remote Assistance können Front-Line Worker sich mit Remote-Experten verbinden, die ihnen quasi „über die Schulter“ Unterstützung bei der Zusammenarbeit in Echtzeit und der schnellen Lösung komplexer Probleme bieten. Mit AR lässt sich Content wie Schulungshandbücher oder Arbeitsanweisungen auf Objekten und Orten in der realen Welt veröffentlichen, sodass Mitarbeiter die Informationen im Kontext ihrer Arbeitsumgebung und der vorliegenden Aufgabe aufnehmen können. Mithilfe von AR können Informationen wie z. B. Service-Verfahren erfasst und auf der realen Welt abgebildet werden.

Industrieunternehmen haben begonnen, ihre Front-Line Worker mit digitalen Fähigkeiten auszustatten – bevorzugt mit AR:

  • Auftragnehmer der Toyota Motor Corporation führen Bau und Wartung von Anlagen während geplanter Ausfallzeiten an Feiertagen und Wochenenden durch. Bei unerwarteten oder unsicheren Bedingungen vor Ort steht unter Umständen kein Mitarbeiter von TMC zur Verfügung, der sie als Experte vor Ort unterstützen könnte. Durch AR-gestützte Remote Assistance, die die Zusammenarbeit im Kontext ermöglicht, konnte TMC den Bedarf an persönlicher Supervision reduzieren, die Kosten für Ausfallzeiten minimieren, die Arbeitssicherheit verbessern und die Compliance steigern.
  • Smiths Medical produziert als Teil des Konsortiums VentilatorChallengeUK, zu dem u. a. der Automobil- und Luftfahrtproduzent GKN gehört, während der COVID-19-Krise 10.000 Beatmungsgeräte. Smiths nutzte AR, um den Montageprozess und die Verfahren für die Herstellung der Beatmungsgeräte zu erfassen und das Wissen an die Produktionsmitarbeiter von GKN zu übergeben. GKN konnte diese erfassten Workflows ohne jegliche Vorerfahrung in der Medizintechnik seinen fast 1.000 Produktionsmitarbeitern zur Verfügung stellen, um die Produktion der Beatmungsgeräte aufzunehmen.

4. Remote Monitoring von Produkten und Fabriken

Die Kosten für Ausfallzeiten gehen in die Tausende pro Stunde. Durch COVID-19 ist der Zugang zu vielen Industrie-Assets in Fabriken oder Krankenhäusern nur noch eingeschränkt möglich. 81 % der Firmen haben Reiseverbote ausgesprochen, 46 % Kontaktverbote am Arbeitsplatz verhängt.

Das Remote Monitoring von Produkten und Fabriken ermöglicht die Aufrechterhaltung des Betriebs trotz Reisebeschränkungen, Quarantäne, Personalmangel und Mitarbeitern im Home Office. Remote-Funktionen waren während der Krise unverzichtbar, um die Betriebszeit in kritischen Umgebungen zu verbessern. Sie ermöglichen aber auch enorme Einsparungen bei Personal- und Asset-Kosten infolge von Fahrtkosten und Ausfallzeiten. Und sie verändern Kundenbeziehungen nachhaltig.

  • Elektas Kunden sind Krankenhäuser. Diese müssen dafür sorgen, dass die Strahlentherapiegeräte für die Behandlung ihrer Patienten bei Bedarf zur Verfügung stehen. Mithilfe von Remote Monitoring und IIoT kann Elekta Ausfallzeiten und Service-Eingriffe besser vorhersagen. Dadurch können Ausfallzeiten deutlich reduziert werden. Etwa 50 % der Probleme können per Remote-Zugriff ohne Technikereinsatz vor Ort beseitigt werden. Das Ergebnis: Die Behandlungsqualität der Krankenhäuser für ihre Patienten steigt weiter.
  • Autoliv ist Weltmarktführer im Bereich Fahrzeugsicherheit. Die Airbags, Sicherheitsgurte und Lenkräder des Unternehmens retten über 30.000 Menschenleben und verhindern das Zehnfache an Verletzungen. Autoliv steckt mitten in einer Industrie-4.0-Transformation. Mithilfe von IIoT und Analysen sollen papierbasierte manuelle Prozesse abgeschafft, durch GAE-Verbesserungen (Gesamtanlageneffektivität) Echtzeit-Einblicke in Abläufe ermöglicht und analysebasierte Mitarbeiterplanung implementiert werden.

Abschließende Bemerkungen

Durch die Implementierung der vier genannten Fähigkeiten können Industrieunternehmen diese schwierigen Zeiten voller Unwägbarkeiten erfolgreich bewältigen.

Während seiner Keynote-Ansprache stellte Heppelmann ein Dutzend Beispiele für führende Industrieunternehmen vor, die mit digitalen Technologien wie SaaS die Grundlage für Flexibilität und Mobilität ihrer Wissensarbeiter geschaffen haben und Flexibilität in Design, Lieferkette und Fertigung ermöglichen. Wir haben gesehen, wie mithilfe von AR Front-Line Worker auf neue Weise zusammenarbeiten und so die Produktivität steigern können. Und wir haben erfahren, wie das IoT in Verbindung mit KI zweistellige Verbesserungen in Betrieben und Produktflotten ermöglicht, was Geld spart, aber auch Leben rettet.

Nun ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was hat während der COVID-19-Pandemie funktioniert und was nicht? Wie können diese vier Fähigkeiten künftig zum Vorteil des Unternehmens genutzt werden, abgesehen von der reinen Notwendigkeit?


Tags:
  • Industrial Internet of Things
  • Augmented Reality
  • SaaS

Der Autor

David Immerman David Immerman ist Senior Research Analyst im Corporate Marketing Team von PTC und liefert Thought Leadership zu Technologien, Trends, Märkten und mehr. Zuvor war David Immerman als Industrieanalyst im Internet of Things-Channel von 451 Research tätig, wo er sich hauptsächlich mit dem Bereich Smart Transportation und den Märkten für Automobiltechnologie befasste, darunter Flottentelematik, Connected Cars und autonome Fahrzeuge. Er verbrachte auch Zeit mit der Erforschung von IoT-fähigen Technologien und anderen Branchen, einschließlich der Industrie. Vor seiner Tätigkeit bei 451 Research war David bei IDC in der Marktforschung tätig.